Text
Bettina Carl
Einleitung
Nishni
Novgorod
Izhevsk
Jekaterinburg
Samara
Saratov
Ausstellung
Text
Peter Funken
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20.7.
Ishewsk wäre anders, meinte Julia Abramowa und hat mich eben deshalb
hierher geschickt. Anders ist es auf jeden Fall. Gäbe es nicht die
Busstation ZENTRUM man wüßte nicht, wo man sich befindet.
Wohl deshalb ist die Stadt überschwemmt von Reiseanzeigen: Eine Woche
Moskau, Reise nach Sankt Petersburg, Entdecken Sie die Türkei!, Ägypten
nicht teuer, Sotschi und Krim, wieder Sankt Petersburg und so weiter.
Ishewsk selbst aber ist die Hauptstadt des freifließenden Verkehrs.
Nächtelang bin ich bei härtestem Techno und beängstigenden
Geschwindigkeiten in dieser scheinbar nur aus Magistralen bestehenden
Stadt umhergekurvt worden. Ohne Gurte, versteht sich. Die werden hier
eher als Zeichen von Weicheiigkeit angesehen. Immer, wenn ich mich anschnallen
wollte, kam gleich: brauchst du nicht, muß man nicht, ist nicht
Gesetz, nur zwischen Städten aber da ja offensichtlich auch
nicht. Und es gibt sie häufig auch gar nicht, die Gurte, oder nur
eine Hälfte davon. Bei einer sehr eigenwilligen Friedhofsführung
sind mir die beliebtesten Todesursachen für junge Leute aufgezählt
worden: Aufhängen, Zu-Tode-Fahren und wodkaseliges Baden in der Wolga.
Am Morgen nach der ersten Partynacht sah ich auf leerer Straße ein
Auto, daneben etwas Liegendes von einer Decke verhüllt, Leute drum
herum.
Am ersten Tag, mitten am Tag, bin ich von drei schweigenden, mir gänzlich
unbekannten Männern in den Keller eines Stalinhauses geführt
worden, wo sich auf einmal eine Teestube öffnete: lange, wortlose
Teezeremonie, die wenigen, ebenfalls schweigenden anderen Gäste spielten
nach und nach alle Flöte oder Didgeridoo, sehr sphärisch-trancig,
nur noch aus Schleifen bestehend irgendwann, ein Erlebnis zwischen völliger
Faszination und extremem Unbehagen.
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