Text
Bettina Carl
Einleitung
Nishni
Novgorod
Izhevsk
Jekaterinburg
Samara
Saratov
Ausstellung
Text
Peter Funken
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9.8.
Die Hälfte meiner Rußlandzeit ist vorbeigerauscht, ich fange
schon an, alles für normal anzusehen, finde nicht mehr jeden Wohnungsbesuch
so unglaublich aufregend, würde eigentlich gern mal ein paar Tage
am Strand liegen und gar nichts tun.
Stattdessen ist mir Sergej Gennadjewitsch über den Weg gelaufen.
Er fotografiert hier in Samara, gemeinsam mit Jewgenij Wassilijewitsch
(ich komme mir vor wie bei Dostojewskij - hier wie dort verwechsele ich
immer die Namen). Und ich fotografiere sie beim Fotografieren. Sie sind
wirklich lustig, Sergej Gennadjewitsch und Jewgenij Wassilijewitsch: die
ersten Russen, die ich getroffen habe, die sich konsequent mit Vor- und
Vatersnamen anreden und dabei siezen, obwohl sie sich schon seit Jahren
kennen, zusammen saufen, baden, arbeiten. Beide brabbeln die ganze Zeit
vor sich hin, erzählen wilde Sachen über Etymologie und Entymologie,
ziehen wie eine Art russischer Laurel und Hardy durch die Welt: Sergej
Gennadjewitsch klein und dick, Jewgenij Wassilijewitsch gross und gut
gebaut, allerdings mit etwas reduzierter Zahnzahl vielen relativ
jungen Menschen hier fehlen Zähne, auch vordere.
Sergej Gennadjewitsch ist übrigens der erste international bekannte
Künstler, den ich kennenlerne: er war tatsächlich schon im Louvre
zu sehen (auch wenn ich das erst für einen schlechten Witz gehalten
habe). Vorgestern rief auf seinem Handy eine Frau von der LIBERATION an,
aus Paris, und ich mußte übersetzen, das war wild: Eine englischsprechende
Französin, die nicht einmal weiß, daß es den Ort Samara
gibt, telefoniert mit einer Deutschen eben dort, die vom Russischen ins
Englische und zurück übersetzt. Jedenfalls soll Sergej Gennadjewitsch
ein Porträt machen für die Zeitung. Ich kam mir gleich ganz
wichtig vor.
Die Krönung des Abends aber war Thomas Anders (die zweite Hälfte
von Modern Talking). So weit mußte ich fahren, um ihn endlich zu
sehen. Das Autowerk hier in Samara hat wohl zu viel Geld, mindestens zweimal
im Jahr feiern sie rauschende Feste: das gestrige begann mit Karneval
(etwas verloren zwischen Neubaublocks), fand seine würdige Fortsetzung
mit Thomas Anders (ohne Eintritt auf dem Aufmarschplatz) und ein prächtiges
Ende mit einem zehnminütigen Feuerwerk.
Es gibt übrigens eine ganz enge Verbindung zwischen Samara und Stuttgart,
fast alle hiesigen Künstler waren schon mal dort, und die Stuttgarter
hier; und daher rührt denn auch das herrschende Deutschlandbild.
Da kann ich zehnmal sagen, daß Baden-Württemberg wohl die reichste
Ecke Deutschlands ist. So hat eben jeder seine festgefügten Bilder
im Kopf, und die zu stürmen ist unter Umständen schwer.
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