und   Saratov
12.8.-19.8. und 28.8.- 6.9.04
   

(empfohlen von Strelkov aus Nishni Novgorod)

Text Bettina Carl

Einleitung

Nishni Novgorod

Izhevsk

Jekaterinburg

Samara

Saratov

Ausstellung

Text Peter Funken

 

 

 

 

         

 

29.9.
Wenn man genauer hinsieht, sind die russischen Städte doch alle sehr eigen. Natürlich ist die Landschaft immer wieder anders (Berge, keine Berge, Wolga, keine Wolga), auch die Altstädte, die es, zumindest im europäischen Teil, allen gesammelten Anstrengungen von Kommunisten und Radikalkapitalisten zum Trotz immer noch gibt, haben jeweils einen ganz eigenen Charakter – sehr auffällig zum Beispiel ist, daß es in manchen Städten an jeder Ecke Kwas zu kaufen gibt aus großen gelben Eisenwagen (Ishewsk, Saratow, Nishni Nowgorod), in anderen dagegen gar nicht (in Moskau konnte ich nicht einen Stand entdecken, und auch in Samara haben Kwasjunkies keine gute Zeit). Und die Reklamezettel: Die Ishewsker Freude an Reisewerbungen habe ich schon beschrieben, hier in Saratow dagegen scheint es Liebhaber kleiner gelber und rosa Papierstückchen zu geben, halbpostkartengroß, auf denen entweder (auf der Straße) die eigene Wohnung zum Verkauf angeboten wird oder eine andere gesucht, oder aber (in und an Hauseingängen) auf noch kleineren Zettelchen Mädchen beworben werden: Häschen, Party, Marina. Und da reicht nicht einmal Marina, nein, ganz wie sich’s in der Werbebranche gehört, klebt sie 50-mal an der Wand, denn: Vom Westen lernen heißt siegen lernen.
Natürlich ist auch Saratow voller Müll, und wenn ich erzähle, woher ich komme, ist die erste Reaktion immer noch: Ah, schön dort, nicht wahr, da ist es sauber. Aber entweder habe ich mich mittlerweile an vieles gewöhnt, an den Autogestank zum Beispiel oder an die eigentlich wirklich entsetzlichen weißen Ziegelhäuser, die in allen erdenklichen Formen und Größen Rußland bevölkern – oder aber Saratow ist wirklich schöner als andere Städte. Ich neige ja zu letzterem. Im Zentrum gibt es richtige Grünanlagen, einen fast englischen Garten, dem nicht mal die russische Sitte des Sommerparks etwas anhaben kann – heißt also Kettenkarussel, Riesenrad, Kindereisenbahn und diverse andere Attraktionen (die übrigens auch schon fast westlich aussehen, nur das obligatorische Riesenrad ist noch sowjetisch-schlicht in gelb und rot gehalten, wie in jeder Stadt); der Springbrunnen hat Mitte August auch mal funktioniert, und sogar eine Fußgängerzone mit richtigen Blumenbeeten gibt es, aber die findet sich auch in Samara. Alte Steinhäuser stehen hier in Saratow, mit dicken gewundenen Säulen, was in Rußland so gar nicht normal ist. Und natürlich Holzhäuschen, hier habe ich das erste Mal gesehen, wie einige Exemplare davon gestrichen werden, heißt also nicht dem freien Verfall preisgegeben, sondern gepflegt und gehütet. Und eine riesige weiße Jugendstilmarkthalle gibt es, mit Bergen von Quark, Smetana (köstliche russische saure Sahne), Honig, Butter, Fleisch, Gemüse. Und Berge ringsherum. Zwar bin ich kaum südlich von Berlin, aber die Kombination von weißen Neubaublocks und spärlich bewachsenen steilen Hügeln löst in mir die Vorstellung von Portugal aus, auch wenn ich davon gar keine Ahnung habe. Denn es ist trocken, jenseits der Wolga beginnt die Steppe. Die Sonne brennt und brennt, und gäbe es nicht die Klimaveränderung, würde es wohl den ganzen Sommer nicht regnen. So dagegen ist unser sonntägliches Picknick schlichtweg ersoffen, und im Winter friert manchmal nicht mal mehr die Wolga zu, was wohl ein richtiges Verkehrsproblem darstellt.

Kontakt

Alena Meier

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